Juan José Arreola, Der Jahrmarkt

 

"Ein Schuhmacher, der sich an die Kunst der Landwirtschaft wagt, ein Glöckner, der sich trunken an den Klöppel seiner Glocke hängt und zum Stundenschlag ausholt, wann es ihm gefällt, eine Geschäftsfrau, die den Rotlichtbereich der Stadt unter ihre Kontrolle bringt, ein Dichter, der mit einer eloquenten Muse Schönheitssalben verkauft, ein Erdbeben, das die hergebrachte Ordnung auf den Kopf stellt, und immer wieder die Ureinwohner, die vergebens um das Recht ihres angestammten Landes kämpfen ...

Juan José Arreola malt in seinem vielstimmigen Roman das Leben einer mexikanischen Provinzstadt zwischen religiöser Borniertheit und menschlicher Einfalt, Bauernschläue und Erotik.

 

Juan José Arreola veröffentlichte ab 1949 in kurzen Abständen mehrere Bücher mit Kurzgeschichten, denen 1963 der Roman La feria – Der Jahrmarkt folgte. An diesem Roman hatte Arreola rund zehn Jahre gearbeitet. So manche Details aus den Erzählungen fließen in der einen oder anderen Form auch in seinen umfangreichsten Text ein. Der Jahrmarkt ist aus vielschichtigen Fragmenten zusammengesetzt, die um verschiedene Themenkomplexe kreisen und in erster Linie mit Geschichten und Legenden seiner Geburtsstadt Zapotlán el Grande verwoben sind. Es geht vielfach um Land, das den einen, den Indianern, weggenommen wurde, und über das andere zu Unrecht verfügen.

Nimmt man alle ausgestreuten 288 Geschichtensplitter, aus denen der Roman besteht, als Einheit, so setzen sie sich zu einer schillernden Gesamtschau einer mexikanischen Kleinstadt mit ihrer historischen und sozialen Dimension, mit ihrer überbordenden Oralität, zusammen.

Es sind Geschichten vom Erdbeben, das die Menschen in Angst und Schrecken versetzt, Liebesgeschichten, vom Pfarrer, den Prostituierten, von individuellen und kollektiven Erfahrungen, und um dies alles spannt sich die offizielle, geduldete oder sanktionierte Religiosität der Bewohner.

Juan José Arreola ist mit Der Jahrmarkt gelungen, ein ganz lokales Thema zu behandeln und es gleichzeitig über seine Form auf ein kosmopolitisches Niveau zu heben. Immerhin erschien der Roman im selben Jahr wie Julio Cortázars Rayuela.

 

Nun, 47 Jahre danach, erscheint dieses Hauptwerk mexikanischer Prosa erstmals in deutscher Sprache. Georg Oswald, bereits bekannt durch die Übersetzung des Romans Krieg im Paradies des mexikanischen Schriftstellers Carlos Montemayor [in Kürze mehr hierzu im Hotlist-Blog, Anm. d. Red.], widmete sich behutsam der Übertragung des mexikanischen Textes ins Deutsche. Neben umfangreichen Recherchen in Kleinstädten Mexikos, wo er in unzähligen Interviews mit Zeitzeugen Zugang zur verwendeten Sprache des Autors fand, besuchte Oswald letztendlich auch den damals schon schwer kranken Juan José Arreola um in persönlichen Gesprächen mit dem Schriftsteller über dessen Jahrhundertroman zu sprechen." (Text: Septime Verlag)

 

  • Juan José Arreola, Der Jahrmarkt. Roman. Aus dem Spanischen (Mexiko) von Georg Oswald. 256 Seiten, mit den Original-Vignetten der Erstausgabe (1962) von Vicente Rojo. Septime Verlag, Wien 2011. 20,90 Euro

 

Platz 4 in der "Weltempfänger"-Bestenliste (3/2011).

 

Ein Interview aus der "Rezensionszeitschrift zur Literaturübersetzung", das Vera Elisabeth Gerling mit dem Übersetzer Georg Oswald geführt hat (nicht zu verwechseln mit seinem Fast-Namensvetter Georg M. Oswald), ist hier zu lesen.

 

(mr)

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