Olga Tokarczuk, Der Gesang der Fledermäuse

 

"Jeder kennt den Gewinn, den er aus dem Nützlichen ziehen könnte, aber keiner kennt die Vorteile des Unnützen."

Olga Tokarczuk, Der Gesang der Fledermäuse

 

Der Gesang der Fledermäuse spielt in Lufcug, einer windumbrausten Ferienkolonie in den schlesischen Bergen - außerhalb der Ferien, im garstigen Winter. Nur zwei Bewohner halten die Stellung, die Grundschullehrerin Janina Duszejko, die ihren Vornamen peinlich findet und wohl deswegen einen Namensfimmel entwickelt hat, und ihr Nachbar Matoga, bürgerlich Świętopełk Świerszczyński.

Weitere Personen sind der Wilderer Bigfoot, der Polizist Schwarzmantel, Buena Noticia, Inhaberin eines Second Hand-Ladens, der Käferforscher Boros, Honza, ein konspirativer Buchhändler, die Verfasserin von Gruselgeschichten Grisella, der Blake-Übersetzer Dyzio, der Pfarrer Raschel und andere – eine kurzweilige Versammlung schräger, teils liebenswerter, teils erzunsympathischer Gestalten, von denen einige auf hässliche Weise zu Tode kommen...

Tokarczuk übertreibt es aber nicht mit den fiesen Details, die sie gerade so fein dosiert, dass sich ein wohliger Krimieffekt einstellt.

Der Spaß kommt nicht zu kurz.

Doch so leicht und amüsant der Roman zu lesen ist – er nimmt sich ernste Fragen vor. „Wer teilt die Welt in nützlich und unnütz auf, und mit welchem Recht?“, fragt Duszejko, die Vorherrschaft des Menschen über die Natur beklagend, als deren Teil er sich doch begreifen sollte.

‚Religiös unmusikalisch’, hat sie eine ausgeprägte Sensibilität für die Schöpfung, und für den Schaden, der ihr zugefügt wird. Die den einzelnen Kapiteln vorangestellten Motti von William Blake weisen mahnend in diese Richtung:

„Das Blöken, Muhen, Röhren, Bellen / Sind himmlischer Gestade Wellen.“

Oder: „Gebrochen einer Lerche Schwingen, / Und ein Cherub läßt vom Singen.“

 

Hier nichts weiter zum Plot. Inhaltsangaben langweilen den Rezensenten, er hat das Buch ja schon gelesen.

Stattdessen, paraphrasiert, zwei Glanzlichter, stellvertretend für die vielen anderen Glanzlichter in dieser Öko-Schauergroteske, die Doreen Daume perfekt übersetzt und Jaromír 99 mit schönen ganzseitigen s/w-Illustrationen versehen hat.

 

 

Glanzlicht 1

 

Wunderbar die Seiten, in denen Duszejko darlegt, wie alles Leben aus Licht entsteht: Jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze ist ein abgelöster Funke daraus, der auf seinem Flug und Fall einige Planeten streift, die ihn verunreinigen und begaben, Neptun, Uranus, Jupiter, Venus... Auch von "einem kleinen, komischen Planeten, der wie ein hypnotisiertes Kaninchen aussieht", ist die Rede - das ist der Merkur. "Der Funke saust nun noch am Mond vorbei und nimmt etwas Unfassbares mit: die Seele.

Erst dann fällt er auf die Erde und wird sofort zu Fleisch, zu Menschen-, Tier- oder Pflanzenfleisch.

So sieht das aus."

 

 

Glanzlicht 2

 

Sehr schön auch die sarkastische und despektierliche Beschreibung einer Messe am Tag des Heiligen Hubertus, zu der neben der Gemeinde und den Schulkindern auch alle Jägersleute versammelt sind - einschließlich Jagdpfarrer Raschel. ("Die Predigt von Pfarrer Raschel ist eine Kompilation aus authentischen Predigten von Jagdpriestern aus dem Internet", teilt die Autorin in einer Anmerkung mit.)

Ihre innere Distanz zu der Veranstaltung gibt Duszejko deutlich zu erkennen. "Wer ein Anhänger von Hubertus ist", sinniert sie, "der muss mit dem Töten aufhören. Indem die Jäger ihn zu ihrem Schutzpatron ernannt haben, haben sie ihn zum Schutzpatron der Sünde von Hubertus gemacht. Einer Sünde, der er abgeschworen hat. Er ist nun also der Schutzpatron einer Sünde."

Aus ihrer Bank heraus beobachtet sie, was vor sich geht ("Pfarrer Raschel begann schweigend und salbungsvoll das Geschirr zu waschen"), rutscht unruhig hin und her, als er zu seiner Predigt ansetzt und das Engagement der Jäger lobt, die für die Rehe Raufentröge und Salzlecken für das Rotwild aufgestellt haben.

Dann läuft die Messfeier spektakulär aus dem Ruder.

 

Das ist toll zu lesen, und man freut sich schon auf den Film, den Agnieszka Holland nach Olga Tokarczuks Roman drehen wird. Vorerst gibt es aber das Buch, und es wird immer besser sein als noch die beste Verfilmung. urmel

 

Olga Tokarczuk, Der Gesang der Fledermäuse. Roman. Aus dem Polnischen von Doreen Daume. 352 Seiten, gebunden, mit 14 ganzseitigen s/w-Illustrationen von Jaromír 99. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2011. 22,95 Euro

 

Ebenfalls bei Schöffling:

 

Olga Tokarczuk, Unrast. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. 464 Seiten, gebunden. 24,90 Euro

 

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