16. Gruß aus Wien: Schiff, äh Schrift ahoi!

Foto: sw
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Was wäre die Welt, aber auch die Sprache arm und ratlos ohne die Seefahrt. Allein auf das Bad im „Meer der Literatur“ müssten wir verzichten. Kein Übersetzer von Dichtkunst könnte jemals Schiffbruch erleiden. Unter dem Titel Fährmann sein versammelt sich gar die Poetik des Übersetzen von Robert Schindel.

 

Und weil Lexika en vogue sind, entstand angeregt durch den Metaphernreichtum ein vollbeladenes, noch nie dagewesenes Seefahrtslexikon der Literatur: Schrift ahoi! von Brigitte Schwens-Harrant und Jörg Seip. Übrigens eine Wiener Kaffeehausgeburt. Es ist beim Klever Verlag ebendort erschienen. Endlich wird miteinander vertäut, was zusammengehört. Wir besteigen auf knapp 200 Seiten das „Schiff der Literatur“ und bekommen sachdienliche Informationen zu A wie Ablegen, K wie Kompass über S wie Seemannsgarn bis zu V wie Vertäuen. Beim Stichwort Ablegen geht es natürlich um den ersten Satz einer Geschichte, in anderen Kapiteln um den Leser, den Autor, die Figuren, Fußnoten. Kurz: Auf reizvolle Weise werden Fragen rundum „Theorien, Bauweisen und Funktionen“ der Literatur gestellt, mal konkreter, mal verquerer. Kollisionen mit der Weltliteratur sind erwünscht, denn in jeden Beitrag sind zahlreiche kursiv gesetzte Zitate hineinmontiert. Quellenangaben mit Autor und Titel finden sich am Ende eines jeden Kapitels. Wer die Texte aus dem Effeff kennt, muss nicht hin und her blättern, abzählen, zuordnen und sich zurechtfinden. Bei allzu vielen zitierten Texten kann der Leser durchaus in Seenot geraten. Gerade das ist aber auch das Vergnügliche an diesem quadratisch-praktischen Lexikon. Und  der kunterbunte Fundus an „umschiffter“ Literatur ist beträchtlich:

 

„Aichinger, Aub, Auster, Baricco, Barthes, Beckett, Benjamin, Bernhard, Bibel, Bichsel, Bobrowski, Borges, Butor, Calvino, Celan, Coetzee, Conrad, ­Cortázar, de Unamuno, Defoe, Delius, Derrida, ­Djebar, Doctorow, Dürrenmatt, Ende, Gadamer, Genette, Glauser, Golding, Grimm, Handke, Hänny, Hemingway, Homer, Hoppe, Hörisch, Jean Paul, ­Jelinek, Jonke, Kafka, Kirsch (Sarah), Kluge (Alexander), Kundera, Lapide, Lindgren, Lodge, Luther, ­Martel, Modick, Moritz, Morton, Nadolny, Nietzsche, O'Brien, Okopenko, Pennac, Piglia, Pirandello, Platon, Queneau, Ransmayr, Reitzer, Roth (Philip), Rushdie, Salinger, Saramago, Schleiermacher, Schmidt (Arno), Shakespeare, Starnone, Stefánsson, Sterne, Tokarczuk, Wieland, Zaimoglu u. v. a.“ (Autorenangaben Klever Verlag 2013).

Einer taucht immer wieder auf: Cervantes Don Quijote, der Lieblingsautor des Autorenduos. Kanon lassen die beiden gleich Kanon sein. Dafür kommen vielfältige, gerne österreichische Gegenwartspositionen zu Wort etwa von Thomas Stangl, Angelika Reitzer, Christoph Ransmayr und Bettina Balàka. Überraschend sind etwa auch Begegnungen mit unbekannteren Autorinnen wie der jungen Literatin Heike Geissler gleich bei zwei Stichwörtern (Kapitän und Seemannsgarn).

 

Auszug aus Kapitän

„Da steht er auf der Kommandobrücke, trägt einen Bart, seine Haut ist von Seeluft und Sonne gegerbt und mit allen Wassern der Welt gewaschen. … Da steht er also, der Kapitän meiner Vorstellung, blickt aufs offene Meer und sieht aus wie einer, der alle Meer kennt. Er wirkte wie ein Lotse, und das ist für einen Seemann die Vertrauenswürdigkeit in Person. Ich glaube ihm daher alles, so unglaubwürdig das → Seemannsgarn auch ist, das er erzählt. … Ich höre ihn raunen: Ich bin nicht zugegen und dennoch allhier; ich reihe die Dinge in Folge.“ (Text: Schrift ahoi!, Klever Verlag 2013) Zitierte Literatur: Joseph Conrad, Herz der Finsternis; Heike Geissler, Nichts, was tragisch wäre.

 

Was will das Lexikon? „Verstricken und verführen.“ Ja, das tut es. Wie die Literatur auch.

 

  • Brigitte Schwens-Harrant/Jörg Seip: Schrift ahoi! Literatur als Seefahrt. Ein Lexikon. Wien: Klever Verlag 2013. 198 Seiten.