Phantastisch und wahr. Marie-Jeanne Urech im bilgerverlag

Ricco Bilger pflegt in seinem Verlag (auch) das Genre der Phantastischen Literatur. Solcherlei Phantastische Romane sind die Bücher der Marie-Jeanne Urech (hier das fröhlich-makabere Titelbild ihrer Website).

Derer zwei hat Bilger zusammen mit seinem Verlagspartner (seit 2005) Dario Benassa (der auch für die Gestaltung der schönen Bücher zuständig ist, mehr Informationen hier) verlegt bzw. schickt sich dazu an: Requisiten für das Paradies ist für Oktober angekündigt. Mein sehr lieber Herr Schöngengel gibt's schon und ist immer noch aktuell, s. u.

 

"Requisiten für das Paradies

 

ist Medizin gegen jegliche Art der Langeweile, des Überdrusses und der Besserwisserei. Man muss schon in die glamourösen Zeiten eines Boris Vian oder Georges Perec zurückblättern, um auf einen Verwandten im Geiste Marie-Jeanne Urechs zu stossen. Oder, um mit Herrn Bürger zu sprechen: "Heute abend lade ich sie alle ins Cabaret ein. Sonnabend in den Zirkus! Und Sonntag in den Botanischen Garten!""

(Text: bilgerverlag)

 

Marie-Jeanne Urech

 

Marie-Jeanne Urech, die uns auf diesem Porträt von Ayse Yavas so verschmitzt anguckt, wurde am 4.6.1976 in Lausanne geboren, studierte nach dem Abitur an einem altsprachlichen Gymnasium in ihrer Heimatstadt Soziologie und Anthropologie sowie Regie an der London Film School. Sie arbeitet als Schriftstellerin und Regisseurin.

 

Was ihren (auf Deutsch) neuen Roman betrifft, so finden sich nähere Anhaltspunkte auf der Website (le site web) ihres Welschschweizer Verlags, den Éditions de l'Aire in Vevey.

 

"Dans cette ville-là, les ingénieurs souffrent de dyscalculie, les infirmières sont fleuristes, les docteurs tombent malades, les balles de golf se volatilisent, les cigarettes n'ont pas d'odeur, les statistiques sont cruelles, les soeurs sont jumelles, les concierges commandent, les enfants s'en vont, les yeux bruns s'éteignent, l'atmosphère est chimique, les chaussettes sont dépareillées, les mendiants démembrés, les restaurants ne servent qu'une soupe, les prêtres tiennent les comptes, les mères dorment six jours d'affilée, les robes sont en fleurs, le soleil disparaît et les tunnels n'aboutissent jamais où on l'espère."

 

"In jener Stadt leiden die Ingenieure unter Rechenschwäche, die Krankenschwestern sind Floristinnen, die Ärzte werden krank, Golfbälle lösen sich in Luft auf, die Zigaretten sind geruchslos, die Statistiken sprechen eine grausame Sprache, die Schwestern sind Zwillinge, die Conciergen kommandieren, die Kinder gehen weg, die braunen Augen werden trübe, die Atmosphäre ist chemisch, die Strümpfe passen nicht zusammen, die Bettler sind zerstückt, die Restaurants servieren die immergleiche Suppe, die Priester machen die Abrechnungen, die Mütter schlafen sechs Tage durch, die Kleider blühen, die Sonne verschwindet und die Tunnel führen nie da ans Licht, wo man es erhofft."

 

Dies, ohne Garantie auf vollkommene Richtigkeit, meine Übersetzung. Da möchte man doch gern weiterlesen! (Mir geht's so.)

  • Marie-Jeanne Urech, Requisiten für das Paradies. Roman. Aus dem Französischen (Suisse romande) von Claudia Steinitz. 294 Seiten, Broschur. bilgerverlag, Zürich 2013. 24,80 Euro (Reihe fleurs de benbil) – erscheint im Oktober 2013

 

Ein früherer Roman Urechs war 2006 Le syndrome de la tête qui tombe (vielleicht soviel wie: Das Kopfabsyndrom), der auf Deutsch 2009 unter dem Titel

 

Mein sehr lieber Herr Schönengel

 

herauskam, ebenfalls im bilgerverlag.

 

Im Spiegel der bezauberten und sanft horrifizierten Leserschaft stellt sich die Geschichte von Mein sehr lieber Herr Schönengel wie folgt dar:

 

"Während die Zeitungen im Wirtschaftsteil zu verstehen versuchen, wer die Finanzkrise angerichtet hat, liefert die Lausanner Schriftstellerin und Filmemacherin Marie-Jeanne Urech eine grandios schräge Vision des Börsensturzes. Ihr Roman [...] schildert eine vordergründig absurde Welt, in der sich stilistisch Kafka und Orwell begegnen. [...] Kann das Börsenwesen boshafter, komischer dargestellt werden?"
Beat Mazenauer, Schweizer Monatshefte, August 2010

 

"Die "Bude" ist eine Fabrik [...]: 16 Etagen, oben ein Raum mit 13 Kilometer Durchmesser, im Keller Arbeiter, ein Aufseher und eine Kuh, die Tee ausgibt. Aber eigentlich kommt es nur auf einen Mann an, der aufsteigende Linien zeichnet, anmutig und präzise… Die Schweizerin Marie-Jeanne Urech entwirft in Mein sehr lieber Herr Schönengel eine surreale kleine Hölle, veredelt mit einer zartbitteren Romanze und einer lukullischen Revolte."
STERN, 3.9.2009

 

"[Urechs] Schilderung der "Bude" gibt eine hervorragende Parabel für eine ganze Reihe von Unternehmen ab – solche, die jeder Angestellte irgendwann mal während seiner Arbeitnehmerexistenz kennengelernt haben wird. Und bestimmt noch viel mehr solche, deren fatales Gemisch aus Größenwahn und Inkompetenz durch die jüngste Finanzkrise ans Tageslicht kam."

http://wordpong.wordpress.com

 

"Es ist ein wunderliches Vergnügen, das kleine Buch von Marie-Jeanne Urech. Der Herr Schönengel schleicht sich einem ins Herz, dass man ihn nur noch knuddeln möchte. [...] Marie-Jeanne Urech wirft ihren Blick auf eine absurde Arbeitswelt, bar jeden Sinnes. Sie tut dies mit einer Leichtigkeit, die einen erst recht klamm werden lässt und vergisst doch nicht Gefühl und Liebe."
Martin Walker, Schweizer Buchhandel

  • Marie-Jeanne Urech, Mein sehr lieber Herr Schönengel. Aus dem Französischen (Suisse romande) von Claudia Steinitz. 236 Seiten, Broschur. bilgerverlag, Zürich 2009. 20,00 Euro (Reihe fleurs de benbil)

Nebenbei: Um in der Finanzkrise, die, wie der ein oder andere systemferne Beobachter bemerkte, eigentlich eine Krise der westlichen Zivilisation ist, endlich klarer zu sehen, empfehle ich die Lektüre des brillanten Interviews, das Robert Landgraf und Nicole Bastian mit Baudouin Prot, dem Chef der größten französischen Bank, BNP Parisbas, für das Handelsblatt geführt haben, und das unter dem Titel veröffentlicht wurde:

 

"Können Sie nachts noch ruhig schlafen?"

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