Wiederentdeckt: Pierre Bost, Jacques Chauviré und Jacques de Lacretelle

 

In der Diskussion um Self Publishing wird immer wieder auf die Filterfunktion der Verlage hingewiesen. Diese bewährt sich nicht nur bei Autoren der Gegenwart, sondern auch bei jenen der Vergangenheit, die übrigens im Falle der drei wiederentdeckten bzw. im deutschsprachigen Raum überhaupt zum allerersten Mal vorgestellten Autoren Pierre Bost, Jacques Chauviré und Jacques de Lacretelle gar nicht so weit zurückliegt.

 

Ein Buch ist nicht gut, nur weil es neu ist, oder nur weil es alt ist. Viele Bücher kippen in der Überlieferung nach hinten über, werden vertrödelt und vergessen, und es ist nicht schade um sie. Bei anderen muss man heilfroh sein, dass ein Luchsauge sie, unter all den zusammengebrochenen Papierstapeln im Hinterzimmer des Jahrhunderts, noch aufgespürt hat und nun, abgeklopft, säuberlich parat legt, so dass auch ein bibliophiler Maulwurf sie endlich vor der Nase hat und seine Schaufel danach ausstrecken kann.

Die hier vorgestellten Titel sind drei von diesen Schatzbüchern, und der Dörlemann Verlag und der Lilienfeld Verlag können sich wirklich etwas darauf einbilden, dass sie sie gefunden haben.

 

Pierre Bost, Ein Sonntag auf dem Lande

 

"Monsieur Ladmiral, ein erfolgreicher, wenn auch konventioneller Maler, hat sich außerhalb von Paris niedergelassen, wo ihn – wie jeden Sonntag – der Sohn Gonzague mit seiner Familie besucht. Man isst, man spaziert, alles ist wie immer, bis Irène, die Tochter, auftaucht. Während Gonzague ein eher langweiliges bürgerliches Leben führt, geht Irène undurchschaubaren, doch umso lukrativeren Geschäften nach und lässt sich von niemand in die Karten ihres (Liebes-)Lebens blicken.

Der Familiensonntag wird in Pierre Bosts kleinem Roman zu einem Panorama der Gefühle, wie sie in Familien nicht nur kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges unter der Oberfläche brodeln. Rivalität unter Geschwistern, Eifersucht und die Angst vor dem Tod des Vaters treten zutage – nur die Mitglieder der Familie würden sich dies nie eingestehen."

(Text: Dörlemann Verlag)

 

Hier eine Leseprobe, und hier Pressestimmen zum Roman, dessen deutscher Titel natürlich, verglichen mit der wörtlichen Übersetzung "(Herr) Ladmiral wird bald sterben", verharmlosend klingt, aber was soll's, zumal Bost hier in der Maske eines resignierten Malers letzten Endes nur sich selbst, als Romancier, ins Gras beißen lässt. – Als Szenarist lebte Bost noch dreißig weitere Jahre und arbeitete u. a. für Bertrand Tavernier, der 1984 Monsieur Ladmiral va bientôt mourir verfilmt hat.

 

Pierre Bost, 1901 geboren, veröffentlichte ab 1924 Romane, Erzählbände und Essays. Mit Monsieur Ladmiral va bientôt mourir verabschiedete er sich 1945 aus der Literatur. Pierre Bost starb 1975 in Paris.

 

  • Pierre Bost, Ein Sonntag auf dem Lande. Roman. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Rainer Moritz. Deutsche Erstausgabe. 160 Seiten, Leinen mit Leseband. Dörlemann Verlag, Zürich 2013. 16,90 Euro (3. Auflage).

 

Zum Preis von 11,99 Euro auch als E-Book erhältlich, aber da natürlich ohne den haptischen und olfaktorischen Reiz des analogen Buchs...

 

... Reize, die einem aufs schönste auch in der Reihe Lilienfeldiana des Lilienfeld Verlags begegnen, zu der wir jetzt kommen.

Unter den Neuerscheinungen 2013 der "Lilienfeldiana" gehört der nachfolgende Band in diesen "Wiederentdeckt"-Post:

Einbandgestaltung unter Verwendung eines Gemäldes von Ben Willikens
Einbandgestaltung unter Verwendung eines Gemäldes von Ben Willikens

 

Jacques Chauviré, Der eigene Anteil

 

"Wie in Albert Camus’ Die Pest begehrt in Chauvirés autobiographisch geprägtem Roman von 1958 ein Arzt unentwegt gegen ein scheinbar sinnloses Schicksal auf."

(Text: Lilienfeld Verlag)

 

"Es überrascht nicht, daß dieses Werk mit seinem strengen Stil, seiner wirkungsvollen Einfachheit – gleichermaßen nüchtern und intensiv Camus begeistern konnte. Es überrascht, daß es vergessen wurde. Das mochte verzeihlich sein. Nach dieser Wiederauflage wäre es unverzeihlich."

(Pierre-Robert Leclercq, Le Monde, anlässlich der Neuauflage von Der eigene Anteil bei den Éditions Le Dilettante, 2000)

 

"Georges Desportes tritt die neu geschaffene Position des Arztes in einer Fabrik an. Er wird routinemäßig die Arbeiter untersuchen, nach Unfällen Verletzte behandeln und nebenbei viel von den schlechten Arbeitsbedingungen dort erfahren.

Als im Werk ein massiver Streik droht, ist er gezwungen, Stellung zu beziehen. Eigentlich aber ist er ein auffallender Einzelgänger, auch im Privaten: Seine Ehe mit Maud läuft nicht gut, zu unterschiedlich sind die jeweiligen Erwartungen und Bedürfnisse, und obendrein sticheln seine Schwiegereltern gegen ihn wegen seiner materiellen Unbedarftheit.

Ausgleich findet er in der Literatur; er sucht den Kontakt zu seinem Idol, einem großen Schriftsteller. Doch dann scheint sich in seinem Ethos als Arzt und in seinem Engagement in der Fabrik ein humaner Reflex bemerkbar zu machen."

(Text: Lilienfeld Verlag)

 

Eine (französische) Leseprobe gibt's hier (15 Seiten, pdf).

 

  • Jacques Chauviré, Der eigene Anteil. Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Thomas Laux. ca. 250 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung, Leseband. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2013. 19,90 Euro (= Lilienfeldiana, Bd. 16) erscheint im September
Einbandgestaltung unter Verwendung eines Gemäldes von Simone Lucas
Einbandgestaltung unter Verwendung eines Gemäldes von Simone Lucas

Und, aller guten Dinge sind drei:

 

Jacques de Lacretelle, Silbermann

 

"Klischees, Ausgrenzung und der Mut, sich auf die Seite des Ausgestoßenen zu stellen: Jacques de Lacretelles Schülerroman Silbermann ist der französische Klassiker über den Antisemitismus.

Der Erzähler des Buches entstammt der gutsituierten und streng konservativen Schicht von Paris. Sein Vater ist Untersuchungsrichter, seine Mutter eine ehrgeizige Dame der Gesellschaft, die Atmosphäre trocken. Unter seinen Schulkameraden befindet sich ein besonderer Mensch, der nicht sehr anziehend wirkt, aber durch seine ausgezeichnete Bildung beeindruckt: Silbermann. Weil Silbermann Jude ist, wird er mehr und mehr zum Opfer von Ausgrenzung und Angriffen. Daß er Stolz dagegenzusetzen versucht, verschlimmert die Lage nur. Und als der Erzähler sich auf seine Seite schlägt, steht auch ihm plötzlich eine gesamte Gesellschaft feindlich gegenüber. Aber durch Silbermann gewinnt er auch Einblick in eine neue Welt der Kultiviertheit, des Luxus und der Liebe zur französischen Literatur. Dann kommt Silbermanns Vater vor Gericht, und der Vater des Erzählers wird über ihn das Urteil zu sprechen haben …
Silbermann ist wunderschöne Prosa, die tief in ein bitteres Problem einführt."

(Text: Lilienfeld Verlag)

 

De Lacretelles fabelhafter Roman bietet nicht, wie Gustave Le Bons kanonische Untersuchung, eine Psychologie der Massen, sondern eine Psychologie der (Schüler-)Clique. Er folgt einer Jungenfreundschaft, unter den wechselnden Vorzeichen von Faszination und Befremden, Gefolgschaft und Verrat, in ihre feinsten seelischen Verästelungen und kratzt am Lack der feinen bürgerlichen Gesellschaft, die diese Freundschaft argwöhnisch beäugt: Der Erzähler findet das starke Bild einer exquisiten Stickarbeit, die, umgedreht, einen unansehnlichen Wirrwarr kreuz- und querlaufender Fäden zeigt. So ist Silbermann auch ein Roman der Enttäuschung und Ernüchterung.

 

  • Jacques de Lacretelle, Silbermann. Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Irène Kuhn und Ralf Stamm. 192 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung, Leseband. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2012 (2. Auflage). 19,90 Euro (= Lilienfeldiana, Bd. 10)

 

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