Meldung aus Wien: Wilde Geschichten aus der Ukraine

Cordula Simon (Foto: Wolfgang Schnuderl)
Cordula Simon (Foto: Wolfgang Schnuderl)

Solange es das Literaturspektakel noch gibt: Einmal in die Wettlesearena in Klagenfurt steigen und um den Bachmannpreis lesen, das will nicht jeder – Cordula Simon schon. Mit ihrer Einladung zu den diesjährigen 37. Tagen der deutschsprachigen Literatur (3sat-Liveübertragung vom 4. Juli bis 7. Juli 2013) ist für die 27-jährige Jungautorin ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Simon ist neben Nadine Kegele eine der beiden nominierten Österreicherinnen der insgesamt 14 Teilnehmenden am Wettbewerb, inklusive Plantschen im Wörthersee. So viele oder wenige Hoffnungen waren es auch im letzten Jahr.

 

Klagenfurt ist praktisch nur einen Katzensprung von Odessa entfernt wie überhaupt Europa. Dort lebt und schreibt (meist im Kaffeehaus) die aus Graz gebürtige Cordula Simon seit einer Weile. Am Anfang war es das Studium, das sie in die ukrainische Stadt führte. „Beim Wort ‚Odessa‛ denken viele ans Meer, an die große Treppe und Spuren von Prunk. Ein Überbleibsel des Pompösen. An Palais und Kostümschinken-Kitsch“ (Der Standard, 23.06.2013). Der Jurykritik, dem „Auseinandernehmen“ der Texte sieht sie gelassen entgegen: „Wer schreibt, kann auch dafür belangt werden“ (Falter 48/2012).

 

So unerschrocken klingt auch ihre Literatur. Cordula Simon veröffentlichte 2012 ihren abenteuerlichen Debütroman „Der potemkinsche Hund“ beim Picus Verlag in Wien.

Ein Friedhof in Odessa: Auferstehung leicht gemacht, per Stromexperiment am offenen Grab: Das geht nicht, gibt es bei Simon nicht. Ihre Schilderungen sind zwingend realistisch, es wird einfach geschissen, wo es sein muss. Irina liebt Anatol und erweckt den kürzlich Verstorbenen daher wieder zum Leben. Weiß aber nichts von ihrem geglückten Vorhaben, weil sie Hals über Kopf türmt. Anatol nichts von dieser Liebe. Die Ukraine ist groß und dreckig, sie ist Milicija und Kakerlaken und spuky Tummelplatz der Wiedergänger und Doppelgänger. Besser geht’s nicht, die Autorin beweist Talent.

 

Dort sind nun beide Menschlein und ein Hund (mit Herz und Hirn) schwer angekratzt unterwegs und suchen was: sich, das Leben, den Sinn, ein Zuhause, Essbares. An Literatur und Mythologie fehlt es nicht, Verweise hier und da (Bulgakov), „Oblomov“ als treuer Begleiter in Irinas Handtasche. Kunstfertig hat die junge Simon ihr sprühendes Husarenstück in eine unterhaltende Form gebracht.

 

„Auch Anatol sehnte sich nach Schlaf, nicht weil er müde gewesen wäre, die Müdigkeit vermisste er, aber weil er die schwere Ruhe des Schlafes über sich gezogen hätte wie die Bettdecke, sich unter dem Schlaf von der Welt oder eher dieser Stadt, wie sie ihn gerade von sich stieß, verbergen wollte, erst wieder aufwachen wollte, wenn er eine Ordnung vorfände, auf die er sich verlassen konnte.“ (Auszug aus dem Roman)

 

Cordula Simon: Der potemkinsche Hund. Wien: Picus Verlag 2012. 208 Seiten. 19,90 Euro.

 

 

 

 

 

Im August 2013 erscheint ihr zweiter Roman beim Picus Verlag, „Ostrov Mogila“, aus dem sie einen Auszug in Klagenfurt liest.

 

Weltuntergangsstimmung über Europa: Was Sex mit der Apokalypse zu tun hat

 

„Wie löst man wohl die Apokalypse aus? Man könnte sie einer jun­gen Frau in Odessa zuschreiben: Als sie mit ihrem Freund schläft, beginnt der Zusammenbruch der Stadt.

Wie eine Kettenreaktion setzt sich der Untergang nun fort, macht nicht Halt vor Gebäuden und Straßen, lässt Gewässer über ihre Ufer treten, Straßenbahnen entgleisen, Menschen zu Riesen wach­sen und Drachen und Einhörner aus ihren Verstecken kriechen. Vor allem aber macht er nicht Halt vor den Menschen, deren Schicksale in Cordula Simons schaurigem Reigen einander die Hand zu reichen scheinen. Wie auch immer sie leben, lieben, lei­den oder dahinvegetieren: Das Unausweichliche verbindet sie, auch wenn es sie auf verschiedenerlei Arten trifft.

Kraftvoll, mit überbordender Fantasie für das Unfassbare, das Menschliche und das Abgründige, taucht Cordula Simon auch in ihrem neuen Roman einmal mehr in den fantastischen Realismus ein, dem sie freilich ihre eigene, morbide Note verleiht.“ (Text: Picus Verlag 2013)

 

Cordula Simon: Ostrov Mogila. Wien: Picus Verlag 2013. 240 Seiten. 21,90 Euro.

 

 

Cordula Simon, geboren 1986 in Graz, aufgewachsen in der Oststeiermark. Studium der deutschen und russischen Philologie in Graz und Odessa. Mitglied der Literaturgruppe plattform. Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften (u. a. manuskripte, ZEIT CAMPUS). Erster Preis beim ZEIT CAMPUS-Literaturwettbewerb 2009, manuskripte-Förderpreis 2010, Gustav-Regler-Förderpreis des Saarländischen Rundfunks 2011. Rotahorn Literaturpreis 2012. Aufenthaltsstipendium des Literarischen Colloquiums Berlin 2013.