Stapelware vor Kompetenztapete

Im Interview mit Stefan Weidle fiel das Wort "Kompetenztapete" - Anlass genug, um an den nachfolgenden, schon etwas älteren, doch unvermindert aktuellen Radiobeitrag von Florian Felix Weyh zu erinnern.

Es kommen zu Wort: Lutz Schulenburg, Verleger (mit Hanna Mittelstädt) der Edition Nautilus, Günter Berg von Hoffmann und Campe sowie Mirko Schädel von der Achilla Presse.

Michael Busch als Chef von Thalia vertritt die Position der Filialisten.

Bemerkung am Rande: Finsterau, das neue Buch von Andrea Maria Schenkel, die vor allem mit ihren beiden ersten Kriminalromanen Tannöd und Kalteis der Edition Nautilus ungeahnte Erfolge beschert hat, ist in diesem März bei Hoffmann und Campe erschienen.

"Es ist eine alte Geschichte, / doch bleibt sie immer neu; / und wem sie just passieret, / dem bricht das Herz entzwei." urmel

 

 

Stapelware vor Kompetenztapete

 

Verlage und Buchhandel streiten um Konditionen und den richtigen Zugang zum Kunden

 

Von Florian Felix Weyh

 

Trotz Wirtschaftskrise machen Buchhändler hervorragende Geschäfte. Das wirkt sich allerdings nicht automatisch auf andere Marktteilnehmer aus. Im Gegenteil: Verlage klagen darüber, dass große Händler wie beispielsweise Thalia die Einkaufspreise drücken.

 

"Das Buch ist nach wie vor eins der beliebtesten Weihnachtsgeschenke in unserem Land. Das ist ein vernünftiges Geschenk. Man kann sein Gegenüber antizipieren. Und deswegen ist das Weihnachtsgeschäft für Verlage wie für die Buchhandlungen im Deutschland absolut essenziell."

 

Günter Berg, Leiter des Hamburger Verlags Hoffmann und Campe, kann beruhigt auf die letzten Einkaufswochen vor dem Fest schauen. Der Wirtschaftskrise zum Trotz hat seine Branche im Buchmessemonat Oktober, der als Indikator fürs Weihnachtsgeschäft gilt, mit 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr kräftig zugelegt.

"Wir bei Thalia haben das wirtschaftlich erfolgreichste Jahr unserer Buchhändlergeschichte hinter uns. Das in einem Krisenjahr[.]"


... erklärt auch Michael Busch, Bereichsvorstand Bücher der Douglas Holding AG, zu der die Buchhandelskette Thalia und der Internetanbieter buch.de zählen. Mit rund 300 Filialen und einem Jahresumsatz von 900 Millionen Euro ist Thalia der derzeit größte Anbieter im Markt, gefolgt von der Deutschen Buch Handels GmbH (DBH), die aus dem Zusammenschluss der Hugendubel-Kette mit dem Weltbild Versand hervorging, und der in Nordrhein-Westfalen dominierenden Mayerschen Buchhandlung.

Dass der größte Buchhändler hervorragende Geschäfte macht, wirkt sich allerdings nicht automatisch auf andere Marktteilnehmer aus. Im Gegenteil: Mit über neun Milliarden Euro Umsatz ist der deutsche Buchmarkt ein "reifer Markt". Gewinne des einen gehen stets zulasten eines anderen. Das ist jeweils so im Wettbewerb der Buchhandlungen und Verlage untereinander. Und es ist im Binnenverhältnis zwischen den Produzenten und dem Handel auch so. Hier knirscht es seit einiger Zeit im Gebälk. Namentlich den Marktführer Thalia sehen die Verleger kritisch. Günter Berg:

 

"Thalia probiert mit uns aus, was da noch geht und wie es geht und wie weit es noch geht. Und es ist an den Verlagen, gelegentlich Nein zu sagen: So wird das nichts. Wir sind in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, wir haben ein großes Interesse daran, die meisten unserer Bücher auch wirklich veritabel in den Markt zu bringen. Also lasst uns dieses Ziel gemeinsam verfolgen."

 

Es geht um Konditionen, also darum, mit welchem Rabatt ein Verlag Bücher an den Buchhändler liefert. Gibt er zu viel Rabatt, beschneidet er sein eigenes Geschäft, gibt er zu wenig, beschränkt er die Gewinnchancen des Händlers. Normalerweise erfährt die Öffentlichkeit nichts über vertrauliche Details dieser Handelsbeziehungen, doch zur Buchmesse 2009 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Seite-Drei-Artikel über Pressionen, denen die Verlage mittlerweile ausgesetzt seien. Zitat daraus:

 

"Thalia lädt, einzeln, an die 100 Verlage zu Jahresgesprächen, in denen die Zusammenarbeit für die nächsten zwölf Monate besprochen wird. Dabei dringen Buschs Leute auf höhere Preisnachlässe. Bei 40 Prozent ist heute niemand mehr, die wichtigsten Verlage geben 48 bis 50 Prozent, wobei von Gesetzes wegen bei 50 Prozent sowieso Schluss ist."

 

Thalia-Geschäftsführer Michael Busch widerspricht:

 

"Wenn man dann ganz grundsätzlich auf das Thema eingeht, dann versuchen wir, mit den Verlagen zunächst einmal partnerschaftlich Lösungen zu entwickeln. Und Lösungen derart: Wie können wir am besten das Interesse unserer Kunden treffen? Und da entscheidet am Ende jeder Verlag selber, in welchem Mix und in welcher Intensität er mit uns zusammenarbeiten möchte, um das in unseren Buchhandlungen zu realisieren, was ihm vorschwebt."

 

"50 Prozent Rabatt ist fast eine Garantie für: nicht mehr Geld verdienen können, heutzutage[.]" ... meint Günter Berg von Hoffmann und Campe ganz prinzipiell. Und Lutz Schulenburg, Gründer und Inhaber der kleinen Hamburger Edition Nautilus, erklärt:

 

"Also wir haben ein gesundes Selbstvertrauen, kennen unsere Grenzen und dann muss man vielleicht irgendwann auch sagen: Bleiben wir locker und sehen mal, was da passieren kann. Aber es gibt da einfach bestimmte Grenzen, die man wahrscheinlich dann so hinnehmen muss."

 

"Ich muss mich ja nicht hinsetzen und Angst haben, sondern ich muss so weit verhandeln, bis ich vielleicht einmal Nein sagen muss, weil ich nicht mehr kann. Aber zunächst mal ist ja das Konzept eines Händlers, zu möglichst günstigen Konditionen große Mengen von Ware einzukaufen, ein vernünftiges."

 

Günter Berg weiß, dass die Konkurrenzsituation durch eine Marktanomalie verschärft wird, für die man in der Branche stets gekämpft hat: die Buchpreisbindung. Sie schützt den kleinen Buchhändler vor Kampfpreisen durch Discounter. Aber sie erschwert der Branche auch die Adaption an eine veränderte Einkaufswelt.

 

"Die Marktteilnehmer, die am stärksten an der Konditionenschraube drehen - nämlich die Großbuchhändler -, tun das ja, um ihre eigene Kostensituation halbwegs in den Griff zu kriegen. Denn so wie wir ungefähr wissen, wie hoch die Belastungen sein dürfen, so ist ein Filialbuchhändler genauso informiert, wie viel von dem Verkaufspreis des Buchs erstmal in die Infrastruktur fließt. Und das sind mit Sicherheit fast 30 Prozent auch. Teure Mieten, aufwendige Ladenkonzepte kosten sehr viel Geld. Und diese Finanzierung wird nur ermöglicht durch hohe Rabatte bei den Verlagen."

 

Will der Buchhandel die Kundenströme in Fußgängerzonen und Ladenpassagen anzapfen, muss er andere Effizienzkriterien anlegen, als das ein Vorstadtgeschäft tut. Das führte schon lange vor dem Markteintritt der Douglas Holding zu Kettenbildungen und Filialisierungen. Und da eine freie Preisgestaltung des Endprodukts verboten ist, besannen sich die Manager einer alten Kaufmannsregel: Der Gewinn liegt im Einkauf.

 

"Ich glaube, dass Thalia - und das löst im Moment ja auch diese reflexartigen Widerstände aus - einfach ein neues Marktkonzept sehr deutlich macht[.]"

 

... konstatiert Günter Berg. Und das ist bitter für die Verlage. Nach traditionellen Gepflogenheiten bekam der Verlag vom festen Ladenpreis ein Drittel für seine Kosten - inklusive Autorenhonorar. Ein weiteres Drittel floss in die Herstellung der Bücher, das Dritte verblieb dem Handel als Marge. So lernt es ein angehender Verlagskaufmann noch immer aus seinen Lehrbüchern, auch wenn es längst nicht mehr der Realität entspricht. Die Großabnehmer wollen inzwischen die Hälfte vom Ladenpreis haben, am liebsten noch ein bisschen mehr.

 

"Die gesetzliche, vom Kartellamt vorgeschriebene, nicht zu überschreitende Rabattgrenze von 50 Prozent wird manchmal doch entschieden gekratzt dadurch, dass man sagt: Es gibt einen ganz normalen Rabatt auf das Buch. Dann gibt es vielleicht noch ein paar Partieexemplare, einen Werbekostenzuschuss, andere Boni, Jahreskonditionen et cetera et cetera. Dann ist man schon bald an dieser magischen Schwelle von 50 Prozent."

 

Es wird mit harten Bandagen gefochten, und für den kultivierten Kulturhandel rund ums Buch ist das eine abstoßende Erfahrung. Dennoch will kein größerer Verlag die potenzielle Kundschaft in den Einkaufspassagen links liegen lassen. Da ist guter Rat teuer und das führt zu einer gewissen Biegsamkeit der eigenen Prinzipien: Dass Thalia und andere Großketten die 50 Prozent bekommen wollen, lässt sich als Vorwurf effektvoll behaupten. Aber kriegen sie diese wirklich? Michael Busch:

 

"Konditionen sind vertrauliche Vereinbarungen mit den Verlagen. Da bitten uns auch die Verlage um Vertraulichkeit. Da möchte ich mich auch dran halten."

 

"Wir sind zwar schlechte Kaufleute, aber ich mein, das Geld schmeißen wir ja auch nicht in den Fleet als Hamburger. Also insofern könnte man schon sagen: 'Ja okay, ich weiß, eigentlich möchten Sie es geschenkt haben und wir bezahlen noch dafür. Aber so einfach ist es natürlich nicht.' Natürlich haben wir nicht 50 Prozent Rabatt oder so[.]"

 

... stellt Lutz Schulenburg von der Edition Nautilus klar. Und Günter Berg von Hoffmann und Campe erläutert:

 

"Den größten Rabatt bekommen traditionell die Versandbuchhändler. Also Weltbild beispielsweise bekommt einen anständigen Rabatt. Aber die stationären Sortimentsbuchhändler bekommen alle einen sehr ähnlichen Rabatt. Wobei Thalia, als einer der ganz großen Marktteilnehmer, für uns mit über zehn Prozent Anteil unseres Umsatzes, bekommt natürlich mit den besten Rabatt. Na klar."

 

"Wenn ein entsprechender Verlag, in dem Fall Hoffmann und Campe, zehn Prozent des Umsatzes mit uns macht, hat der genug Alternativen. Und wenn das Gesamtleistungsspektrum, was Thalia bietet, für ihn nicht interessant ist oder umgekehrt, wenn unsere Buchhändler und Buchhändlerinnen in der Lage sind, diese Bücher auch wirklich an den Kunden heranzutragen, dann wird dieses Gesamtpaket ihm etwas wert sein. Und jeder Mensch wird am Ende sagen: Passt das, was ich dafür bekomme, mit dem zusammen, was ich da einbringen muss?"

 

Und da setzt eine gewisse Doppelzüngigkeit der Branche ein, auf beiden Seiten. Gewiss, Thalia lässt sich Serviceleistungen bezahlen, die Herausstellung als "Buch des Monats" kostet nicht eben wenig. Man kann die Auffassung vertreten, das sei wie ein Auto ohne Räder zu verkaufen, weil Promotion und Platzierung zum Kerngeschäft des Buchhandels gehören, aber dann macht man einfach nicht mit. Thalia-Chef Busch vermeldet allerdings keinen Boykott seiner Marketinginstrumente.

 

"Wir können noch nicht mal alles das, was an Wünschen an uns herangetragen wird, zentralseitig abbilden, weil: Der Preis wäre dann, dass wir den Gestaltungsspielraum der Buchhändler vor Ort über ein Maß, was wir für sinnvoll halten, einschränken müssen. Und deshalb ist die Tendenz eigentlich sogar eher gegenläufig im Moment."

 

In bestimmten Monaten rangeln weit mehr Interessenten um die kettenweiten Sonderplatzierungen, als der Konzern überhaupt anzubieten hat, Katalog- und Prospektwerbung werden auch von finanziell schwächeren Verlagen gebucht. Lutz Schulenburg:

 

"Das gehört natürlich bei dem Schielen auf den Absatz eigentlich dazu, dass man sagt: 'Naja okay, wenn wir bei Thalia und Thalia Buchmagazin eine Anzeige schalten, dann ist er Titel garantiert im Zentrallager!' Das kann man machen, wenn man sicher ist, dass dieser Titel dann auch sich verkauft."

 

Schulenburg ist allerdings ein untypischer Thalia-Buchlieferant. Nach 40 Jahren libertär-anarchistischer Verlegerei am Rande des Konkurses landete er 2006 mit Andrea Maria Schenkels Krimi Tannöd einen Megaseller. Plötzlich zählte ein Titel der Edition Nautilus zur begehrten Stapelware des Flächenbuchhandels, wo Nautilus-Bücher sonst nur zur Kompetenztapete zählen, wie Schulenburg die wenig beachteten Wandregale spöttisch nennt.

 

Als Kehrseite des Erfolgs erwies sich jedoch rasch die eigene Verführbarkeit bei künftigen Projekten. Eingeladen zum großen Geschäft mit den Ketten, musste der Verlag viele Tausend Bücher ins Blaue hinein drucken und hoffen, dass sie dann wirklich Abnehmer finden.

 

"Wir liefern ja mehr aus, als verkauft wird. Und nach einer Zeit gibt es doch einen gewissen Rücklauf, der sich leider nicht vermeiden lässt. Aber der ist natürlich bescheidener als das, wenn wir stark jetzt im Großflächenbereich tätig sind. Ich mein, wenn 10.000 oder 5000 Stück eingekauft wurden und davon wird nur die Hälfte verkauft: 2500, die zurückkommen, verderben einem sofort die Statistik für den Monat. Und dann hört das ja meistens nicht auf."

 

Paradoxerweise müssten schon bei halbwegs erfolgsverdächtigen Titeln kleine Verlage überhöhte Auflagen produzieren, um die Großfläche bespielen zu können - wenn sich deren Interesse denn überhaupt äußerte. Das vermögen sie nicht zu leisten. Und die Ketten ächzen auch so schon wie der gesamte Buchmarkt unter dem allgemeinen Überangebot. Nicht zuletzt kann man hohe Rabatte und zusätzliche Präsentationskosten auch als Versuch verstehen, Orientierung durch Begrenzung herzustellen. Der Kunde will nicht Vielfalt, sondern Übersicht. Und die beruht naturgemäß auf willkürlichen Einschränkungen. Hoffmann-und-Campe-Verleger Günter Berg:

 

"Faktisch ist es so, dass kleinere Verlage sehr leiden unter dieser Konzentration im Markt, weil der Zugang zu prominenten Verkaufsorten unmöglich gemacht wird. Das kann man Thalia nicht zum Vorwurf machen, denn dann müsste ja der Vorwurf sein: 'Thalia, warum seit ihr nicht 300 kleine Buchhandlungen? Sondern ihr seid was anderes. Das geht aber nicht.'"

 

"Aber es ist natürlich so, dass wir als unabhängiger Verlag auf eine andere buchhändlerische Struktur orientiert sind. Das sind nicht unbedingt zwei Welten, aber das sind zwei Paar Schuhe, die dort existieren",

 

... sagt Lutz Schulenburg von der Edition Nautilus, doch diese andere, kleinteilige Einzelhandelsstruktur ist durchaus nicht automatisch gut, während Ketten automatisch böse wären. Es kommt auf Differenzierungen an. Kleine Verlage können schon am normalen Buchhandel verzweifeln.

 

"Ich hab es immer mal wieder versucht, hab mich aber überreden lassen von den Leuten, die in der Branche tätig sind und gesagt haben: 'Nein, um Gotteswillen, gib nicht die Verlagsauslieferung auf!' Oder: 'Geh nicht aus dem Buchhandel raus!'",

 

... erzählt Mirko Schädel, Verleger der Achilla Presse in Butjadingen, einem Dorf am Jadebusen. Sein Ein-Mann-Unternehmen steht vor einem radikalen Schritt und wird zum Januar [2010] dem herkömmlichen Handel mit Büchern Adieu sagen. Schädel, bei dem mit Karin Duve und Anna-Katharina Hahn zwei wichtige zeitgenössische Autorinnen debütierten, stellt aufwendig gemachte Bücher her und lebt ökonomisch unter großem Druck.

 

"Wir haben definitiv ganz andere Probleme als ein mittelständischer oder ein größerer Verlag",

 

... sagt er und rechnet nach 20 Jahren Verlagsarbeit desillusioniert vor:

 

"Wir sind jetzt eigentlich schon bei 62 Prozent. Und das ist für mich mittlerweile der Regelfall. Das heißt, die meisten Bücher, die bestellt werden, werden über Grossisten, über den Zwischenbuchhandel bestellt. Und der Regelfall heißt für mich dann, über 90 Prozent der Bücher werden mit 63, 62 Prozent rabattiert.

 

" Die Kalkulation fällt deswegen so gravierend aus, weil Mirko Schädel die Kosten der Verlagsauslieferung, die seine Bücher lagert und verschickt, mit in die Rechnung aufnimmt. Mit zehn bis zwölf Prozent vom Ladenpreis liegen diese Marge deutlich über den günstigeren Werten großer Verlage. Und da die Grossisten auch längst fast 50 Prozent Rabatt fordern, kommt Schädel auf über 60 Prozent Abzug. Von den weniger als 40 Prozent, die ihm für Autoren- und Übersetzerhonorare, Herstellung und Gemeinkosten bleiben, kann er nicht existieren. Preiserhöhungen als Ultima Ratio funktionieren im Buchgeschäft generell fast nie.

 

"Ich müsste die Bücher so extrem verteuern, um noch Gewinnspannen einzukalkulieren, dass die so teuer werden, dass die auch kein Leser mehr kaufen würde."

 

Dieses System ergibt für ihn keinen Sinn, deshalb schert er nun aus.

 

"Ich bin natürlich auch den Umständen verpflichtet. Das heißt, zum 31.12. enden die Verträge mit meiner Auslieferung und ab dem Zeitpunkt muss ich die Bücher, die da noch liegen, es mögen vielleicht 20.000 Exemplare sein, die muss ich dann hier rüberschaffen, um sie dann dementsprechend verpacken und verkaufen zu können. Das heißt, zum 31.12. endet dann komplett dieses Buchhändlergeschäft, wie es bislang gelaufen ist."

 

Dann gibt es Achilla-Presse-Bücher nur noch im Buchhandel, wenn dieser direkt bei Mirko Schädel bestellt - zum einst üblichen 33-Prozent-Rabatt. Der Bezug über den Grossisten wird gestrichen, auch die teure Verlagsauslieferung spart Schädel sich ein, betreibt Lagerhaltung und Versand in eigener Regie. Den Buchhändlern, die ihm - meist aus eigener Not - sein Geschäft so erschwert haben, dass er gar nicht anders handeln kann, ist er durchaus nicht gram. Er sieht die Lage nüchtern:

 

"Der Druck ist größer geworden und der Überlebenskampf der Buchhändler ist größer geworden. Und selbst die, die vor 20 Jahren noch als Buchhändler sich verstanden haben, die Literatur vermitteln wollten. Ich glaub, das ist tatsächlich weggebrochen. Die neusten gehypten Krimis, die da erscheinen, die kennen die Buchhändler mittlerweile besser als sogenannte Hochliteratur."

 

In seinem Fall hofft Mirko Schädel via Webseite dauerhafte Beziehungen mit seinen eigentlichen Kunden, den Lesern, aufbauen zu können. Dieser Aspekt erfüllt ihn mit Vorfreude.

 

"Darüber hinaus hab ich mir mal die Mühe gemacht auszurechnen, was es bedeutet, wenn ich ein Buch über den Handel verkaufe oder ob ich das jetzt direkt an den Endverbraucher verkaufe, das ist ein Spielraum von eins zu sieben. Das heißt, ich müsste sieben Exemplare über den Handel verkaufen, um denselben Umsatz zu haben. Ich weiß genau, dass ich wesentlich weniger verkaufen werde, wenn ich aus dem Buchhandel rausgehe. Aber wenn es nur ein Siebtel ist, von dem, was ich dann immer noch verkaufen könnte, würde sich das tatsächlich noch für mich rechnen."

 

Gewiss, in der Gesamtstatistik des Buchmarkts wird sich dieses Beispiel nicht niederschlagen, dennoch passt es in den Trend. Der Bucheinzelhandel verantwortet überhaupt nur 52,6 Prozent aller Buchverkäufe. Allein der Direktvertrieb der Verlage, wie ihn Mirko Schädel jetzt anstrebt, macht 18,2 Prozent aus, das Internet mehr als zehn Prozent, Tendenz stetig steigend. Vor diesem Hintergrund wirkt der Streit um Thalia fast wie ein Nebenkriegsschauplatz.

 

"Wir nehmen das so wahr, dass in unserer Zusammenarbeit mit den Verlagen das Thema, was vielleicht traditionell ein gewisses Konfliktmuster war, hier Buchhandel und hier Verlage, sich verändert - derart, dass man viel mehr gemeinsam über Lösung der zukünftigen Herausforderung, Internet und Digitalisierung, nachdenkt und sehr wohl weiß, dass diese Herausforderungen am besten oder vielleicht sogar überhaupt nur gemeinsam zu bewältigen sind[.]"

 

... sagt Thalia-Chef Michael Busch, dem die Binnenkonflikte der Branche weniger Sorgen machen als die technologische Entwicklung und die Frage, wo sich in Zukunft Geschäftsmodelle ergeben könnten. Denn ebenso wenig wie im Musikgeschäft wird der Kunde im Buchhandel blinde Treue walten lassen, wenn er begehrte Inhalte anderswo leichter bekommt. Der Kunde entscheidet über das Schicksal der Branche. Solange die Buchpreisbindung existiert, kostete es ihn nichts, kleinere Buchhandlungen großen Kettenfilialen oder dem Internet vorzuziehen. Wenn er es - aus Bequemlichkeit oder bewusster Ignoranz - nicht tun, nimmt er die Folgen billigend in Kauf. Egoistische Konsumenten allerdings sind schlechte Artenschützer bedrohter literarischer Biotope. Sie lesen nur, was sie lesen wollen. Und das deckt sich häufig nicht mit den Vorlieben der Verlagsleute, wie Günter Berg weiß.

 

"Ich hab Angst, dass wir manchmal nicht den großen Titel haben, dass wir es nicht immer schaffen, das gesamte Programm durchzusetzen. Aber das hat mit der Struktur des Buchhandels wirklich fast nichts zu tun."

 

Und die ist im Kapitalismus, sagt der ehemalige Anarchistenverleger Lutz Schulenburg, keineswegs in Stein gemeißelt.

 

"Es ist ja so, dass weder Hertie noch existiert, noch wirklich Karstadt. Also ganz so uneinnehmbar sind natürlich diese großen Flächen auch nicht."

 

"Stapelware vor Kompetenztapete" wurde am 20.12.2009 in der politischen Sendung "Hintergrund" des Deutschlandfunks gesendet.

 

Dank an Florian Felix Weyh und Thilo Kößler.

 

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